Thumb
Exposure
Polydor
VÖ: 29.07.2022
Vor einigen Wochen bin ich während einer schlaflosen Nacht über alte Crossover-CDs gestolpert und habe dann geschaut, ob es die wohl mittlerweile auf Vinyl gibt. Die ReIssue-Welle ist ja auch an diesem eigentlich nicht so gut gealtertem Genre nicht vorbei gegangen. Und tatsächlich, auf der Instagram-Seite von Claus Grabke sehe ich ein Foto, auf dem er Vinyl-Ausgaben des “Exposure”-Albums seiner Band Thumb signiert. Mit Blick auf das Datum schlägt mein Herz etwas schneller. Das Foto war von Anfang Mai.
Mit Thumb nahm Grabke von 1993 bis 2002 drei Alben auf und erspielte sich zudem einen Namen als extrem gute Liveband, die es bis auf die Vans Warped-Tour in den USA schaffte. Bereits das selbstbetitelte Debütalbum, dass noch sehr rotzig produziert war, aber mit Songs wie “Haunted”, “Red Alert” oder “Fascism Sucks” so ziemlich jeden Nerv meiner Jugend traf, haute mich 1995 ziemlich um.
1997 erschien dann “Exposure”. Meine Fresse, der Opener “Break Me” hat uns alle dermaßen umgehauen, dass Thumb schon nach 20 Sekunden nichts mehr falsch machen konnten. Was für ein Brett von Song und vor allem, wie unglaublich fett und auf den Punkt produziert?
“Hold me… take me… know me… break me!”
Gefolgt wurde der Opener von einem der besten Songs des Genres, der durch den melodisch gesungenen Refrain ja eigentlich schon die Grenzen des klassischen Crossovers sprengte. “Sell Myself” ist ein derart gut gealterter Song, das man gar nicht weiß, wie andere Vertreter des Genres – zumindest die Kollegen aus Deutschland – da mit etwaigen Neuauflagen vorbei kommen sollen. Und so geht es im Prinzip das ganze Album weiter. Der prägnante Bass von Jan-Hendrik Meyer, die auf den Punkt gesetzten Scratches von DJ Jens Gössling und Grabkes verzerrt-verzweifelte Stimme waren schlicht großartig.
“As I am walking along side this road called life through all these years, how many times have I found myself – drowning in tears, pain an agony, as far as I can see – you never did a thing for me!” (“Thank You For Hating Me”)
Zeilen, die mein gerade volljährig gewordenes Ich bis heute nachvollziehen und unterschreiben kann. Überhaupt hat “Exposure” auch einen ziemlich klaren lyrischen Tiefgang, den wir in unserem Freundeskreis, wo die Scheidungsrate der Eltern bei 75% lag und das Thema Suizid schon damals ein Thema war, extrem nachvollziehen konnten. Neben dem oben zitierten “Thank You For Hating Me” war demnach “Dad” ein weiterer Höhepunkt einer großartigen Platte.
25 Jahre später bin ich altersmüde, höre weder die alten New Metal-Bands, noch den deutschsprachigen Crossover der Anfangsphase. Manchmal stolpere ich über Bands wie Dub War (übrigens mit neuem starken Album) oder Headcrash, deren Spätwerk auch ganz gut gealtert ist. Aber Thumb, die höre ich oft und regelmäßig und nun auch auf Schallplatte. Die handsignierte 500er-Auflage auf weißem Vinyl war ratzfatz weg. Bleibt noch die “normale” Erstauflage – weißes Vinyl, ebenfalls auf 180gr. und neu gemastert. Sound klingt super, aber nichts anderes habe ich von der Band erwartet, die zwar nicht gemeinsam Musik gemacht haben, aber doch der Thematik treu geblieben ist.
Tja, was soll ich sagen. “Exposure” ist ein Klassiker der 1990er-Jahre, der in keiner gut sortierten Plattensammlung fehlen sollte.