Mittlerweile war ich im Rhythmus. Wenig Schlaf, lange Tage auf dem Festivalgelände, letzte Biere im Stadtkrug. Ich für meinen Teil war äußerst happy, dass ich mir für dieses Jahr zum Orange Blossom mein Fahrrad mitgenommen hatte und so morgens ganz entspannt vom Hotel aus an der Weser entlang fahren und mir den morgendlichen Wind und Sonnenschein genüßlich im Gesicht platzieren konnte. So könnte das eigentlich jetzt immer weiter gehen, dachte ich noch und stellte fest, es ist der letzte OBS Tag angebrochen. Und den startet bekanntlicher Weise seit 2011 ein Surprise Act.
Damals war es die Band Washington die mein Herz einnahm. Über die Jahre gesellten sich Bands und Künstler wie Gisbert zu Knyphausen und Torpus & The Art Directors dazu oder solch OBS-typischen Highlights wie The Frictions, The Great Crusades, The Dead South und Murder By Death. Im letzten Jahr überraschte Rembert uns alle mit den Hamburgern von Kettcar, einer Band, die vor ihrem Surprise-Gig noch nie im Glitterhouse Garten stand – im Gegensatz zu allen anderen. Die Messlatte wurde also ordentlich hochkatapultiert. Ganz so ein großes Geheimnis war es dann im Laufe des Festivalwochenende für die meisten Crewmitglieder nicht mehr, denn die Surprise-Band turnte schon am Samstag auf dem Gelände herum. Wenn dann dem Sänger Backstage noch rausrutscht, dass er heute etwas langsamer machen muss, weil morgen noch gesungen wird, sollte eigentlich jeder im Umkreis der Glitterhouse-Villa Bescheid gewusst haben. Dennoch war es natürlich für viele eine Überraschung und vielleicht auch für einige dann einen Ticken zu viel. Denn nach ihrem Auftritt aus dem Jahre 2016, durften Love A erneut die OBS Bühne einnehmen. Und wer Jörkk Mechenbier, Sänger dieser zwischen Trier, Köln und Hamburg angesiedelten Band, am Vortag noch nicht mit Trixsi gesehen hatte und auch nicht den in Eigenregie organisierten Spontan-Gig seines Akustikpunk-Duos Schreng Schreng & La La auf dem Zeltplatz beiwohnte, hatte nun also die Gelegenheit dazu. Der Menderes des OBS – so wie Jörkk sich später im bläulich schimmernden Gesichtsbuch selber benannt hatte. Wir haben dich trotzdem lieb.
Die Band begann mit Mechenbiers Ansage “Wir wünschen euch viel Spaß und uns viel Glück!”. Es brauchte irgendwie ein paar Songs, bis ich richtig drin war. Doch die typisch melodische Verspieltheit der zwischen Wave, Punk und Indie wandelnden Love A Songs gaben mir von Ton zu Ton ein immer besseres, wohligeres Gefühl. “Die Anderen”, “Trümmer”, “Nichts Ist Leicht”, “100.000 Stühle Leer” und “Kanten”. Letztgenannter wurde schon als Begleitmusik für den OBS 22 Trailer verwendet und war bei Love As OBS-Premiere 2016 ein kleiner Knack- und Wendepunkt im damaligen Set, dass sie wegen gesundheitlicher Probleme kürzer halten mussten. Nun passte aber alles und der Sonntag startete mit vertrauten Klängen und lieben Menschen. “Too Doof To Fuck”, “Windmühlen” und “Freibad” gab es oben drauf – hier haben alle ne Ahnung, wofür euer Herz schlägt.
LOVE A – Fotos von Christina Kania
Mit Gunner & Smith und The Sheepdogs standen zwei Bands auf der Bühne, die an diesem Sonntag die alte OBS-Tradition des zwischen Alternative Country, Southern Rock und Americana angehauchten Sounds aufleben ließen. Gunner & Smith schickten sich an dem Sonntag einen gewissen Gemütlichkeitsfaktor aufzudrücken. Der tragende Alternative Country bewegte mich eher dazu die Füße hochzulegen und mein Konterbier zu genießen. Also wirklich positiv gemeint. Durchdringend und gefühlvoll, aber ein gewisser fehlender Zwang auszubrechen. Musste es zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht. Leider nicht ganz so entspannt nahm ich später am Tag die Performance der Sheepdogs auf, die leider in meiner Betrachtungsweise für den Sonntag den unspektakulärsten Auftritt hatten. Dass das trotzdem angekommen ist und mit großem Applaus honoriert wurde, zeigt nur wie facettenreich und unterschiedlich es mittlerweile im OBS-Garten zugehen kann. Sagen wir es mal so: Die Adam Angst Kids waren Bierchen trinken und die Neil Young Fans standen mit bluesiger Leidenschaft vor der Bühne.
Anders dagegen die aus Rostock kommenden Coogans Bluff. Der fuzzige und bluesige, ja sogar jazzige, mit ordentlich Pepp versehene Psychedelic-Kraut-Rock wirkte für mich wie mein erster Joint nach guten 20 abstinenten Kiffer-Jahren. Besonders die instrumental Parts hatten so viel Wucht und Magie, dass mich der Fünfer von der Ostsee echt begeisterte. Die Bläserparts waren nicht aufdringlich, es hatte was Nostalgisches und war doch irgendwie neu. Eine gefühlte Mischpoke aus Frank Zappa und den Black Crowes und was mir obendrein auch noch gefällt. Ein sehr starker Auftritt.
Coogans Bluff – Fotos von Christina Kania
Steiner & Madlaina standen auf dem letztjährigen OBS an genau derselben Stelle im Programm – Sonntags um 16:00 Uhr. Jedoch ist sonst nicht viel gleich geblieben. In den vergangenen 12 Monaten hat sich so einiges getan. Das Debütalbum “Cheers” wurde auf Glitterhouse Records veröffentlicht. Ihr Song “Das Schöne Leben” entpuppte sich als kleiner Radiohit und neben dem OBS 23 sind noch ca. 40 andere Festivals auf die smarten Schweizerinnen aufmerksam geworden. Auch die Bühnenpresänz von Nora Steiner und Madlaina Pollina hat sich verändert. Das Tourleben hat aus dem Rohdiamant Steiner & Madlaina eine lockere, standfeste und gut funktionierende Band gemacht. Der Sound klingt voller (auch durch das Mitwirken von Max Kämmerling als zusätzlichen Gitarristen) und die Songs kommen allesamt beim Publikum an. So lässt es sich selbstbewusst auf der Bühne feiern – und alle feiern mit.
Beim Feiern lassen sich wohl Tom Allan & The Strangest nicht zweimal Bitten. Das, was ich im zweiten Set der Band, die zur Zeit in Köln lebt, mitbekommen habe, war ein Partyspaß der Extraklasse. Und das, so nehme ich an, bei völlig unbekannten Songs. Wer so mitreißen kann, verdient sich wohl für das OBS 24 einen Platz auf der Hauptbühne. Andere Künstler machten es ja bereits vor und Tom Allan & The Strangest dürften nach dem Eindruck im hinteren Teil des Gartens, wohl auch den Rest zu begeistern wissen. Gefühlt war die Minibühne bei diesem Auftritt so gut besucht wie noch nie. Ihr Song “Emergency Call” hob wahrlich ab, samt Mundharmonika. Chapeau!
Steiner & Madlaina – Fotos von Christina Kania
Das Chapeau geht ebenfalls an Cash Savage & The Last Drinks raus. Der dritte Act aus Melbourne, Australien hatte wohl den bewegendsten und durchdringendsten Eindruck auf der OBS Bühne hinterlassen. Mit äußerst viel Kraft, Ehrlichkeit und Wut wurden vor allem die neueren Stücke ihres letztjährigen Albums “Good Citizens” performt. Der Dreierpack zu Beginn des Albums (“Human, I am”, “Better Than That” und “Pack Animals”) passte wie der Rest optimal in den Garten, der stets ein Ort von Respekt und Toleranz war, ist und bleiben wird. Die für queere Rechte kämpfende Savage benutzt ihre Songs aus krachendes Sprachrohr gegen Skeptiker und Hater. In Kombination mit der Musik warteten die Zuschauer förmlich auf den Blues-Folk-Punk-Ausbruch von Cash Savage.
Die Zeit verging wie im Fluge. Dass die Füße langsam weh taten ignorierte ich. Das Gesehene legte über alles ein kunterbuntes Pflaster. Und unser garteneigenes Kunstgenie LADUKA richtete in ihrer umfunktionierten Eisbude mal schnell einen kleinen Yogatempel ein. Wo gestern noch die kleinste Geisterbahn der Welt gastierte, konnte man sich nun bei OBS in the Box förmlich fallen lassen. Auch wenn der Platz einen mehr zu kleineren Improvisationsübungen gezwungen hatte.
Die Nerven setzten als vorletzte Band auf dem diesjährigen Orange Blossom Special abermals ein Ausrufezeichen. Ihre Wucht und Energie sucht nach wie vor Ihresgleichen. Es wird viel mit Gestik und Mimik gearbeitet. Die Nerven 2019 sind wohl aufgeschlossener als je zuvor und trotzdem vermitteln Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn eine gesunde Unnahbarkeit. Das Brachiale in der Musik schlägt aufs Publikum über. Bisher gab es das nicht oft, dass sich ein Moshpit auf dem OBS gebildet hat – ok, am Freitag bei Adam Angst. Sonst vielleicht zuletzt bei den Nerven selber. Sie polarisieren. Zu Beginn ihrer Karriere hatte ich massive Probleme damit, bis ich mich überhaupt aus musikalische einlassen konnte. Nun fühlen sie sich an wie alte Bekannte, ohne die im Punk und in der Musik generell ein wahnsinnig großes Loch wäre. “Frei” bricht sofort alle Dämme – ältere Tracks wie “Schrapnell” zünden in ihrer beispiellosen Dynamik. Highlight auf diesem OBS: Kevin Kuhn stimmt mit seinem Schlagzeug (!) den Queen Klassiker “We Are The Champions” an und wird prompt vom ganzen Publikum unterstützt.
Die Nerven – Fotos von Christina Kania
Garda With Ensemble Tanderas aus Dresden standen für Rembert schon im Zuge des Bookings als Abschlussband fest. Mit ihrem sphärischem Sound, grade auch in Verbindung mit dem Streichensemble Tanderas im Background, war das ganze wie gemacht für die letzten Klänge des kleinen Gartenfestes an der Weser. 11 bis 14 Leute standen und saßen auf der kleinen Holzbühne. Ein Sound, der in seinem Facettenreichtum vielleicht gar nicht so rüber kam. Sanft und mit sehr viel Gefühl wurde der Ausklang eingeläutet. Ein passender Soundtrack um innerlich zurückzublicken. Während ich anfangs noch die letzten Sequenzen für die Social Media Kanäle des OBS einfing und ein paar Aufnahmen für die OBS-Videosammlung machte, schlenderte ich über das Festival und war wie in Trance von der Atmosphäre. Ein Traum, wenn das OBS in diesem bläulich-lila Tönen angestrahlt wird. Das war bei The Holy schon so, nun aber bei Garda eine Spur sentimentaler. Auch wenn sich im hinteren Bereich schon erste Besucher aufmachten das Gelände zu verlassen, war doch der Großteil sehr angetan von der empathischen Darbietung der Dresdner. Beim letzten Song, meines Wissens nach war das “00:00”, saß ich mit Rembert am Bühnenaufgang, rauchte die letzte Zigarette vor der Abschlussmoderation. Sicherlich ist das Begrüßen auf der Bühne auch nicht ohne, aber wenn einem die Düse geht und man vor dem OBS-Publikum auf der Bühne steht, dann in diesem Moment, wo alles schon wieder vorbei ist. Den Drei-Tages-Witz kündigte ich auf Facebook dann auch noch als Vier-Tages-Witz an – das hätte den Joke auch nicht besser gemacht. Aber ganz ehrlich: alle guten Witze sind erzählt und schließlich sind wir ja wegen der Musik da. Bla bla bla, ja ich weiß. Es wird auch wieder besser.
Das war also DEINESORGEN Jr. Ein Motto, dass eigentlich meine neue fiktive Band werden sollte. Remberts Kopf machte da aber prompt mehr draus und alle haben es angenommen. Steckt euer Ego auch in Zukunft in entsprechenden Momenten zurück. Helft und unterstützt euch. Seid freundlich, tolerant und zeigt Empathie. Und trennt den Müll. Dann wird alles besser, zumindest ein wenig. Passt auf euch auf.
Garda – Fotos von Simon Baranowski