Nachdem der große Schrecken mit dem Unwetter am Festivalfreitag überwunden war, man sich die Sorgen und den Kopf im Beverunger Stadtkrug freigetrunken hatte, war es mal wieder Zeit für etwas typisch OBS-haftes: bei erster Band um 11:30 Uhr war der Garten sehr sehr gut gefüllt. Viele OBS-Besucher waren zu diesem Zeitpunkt schon mehr als fit und kamen von den morgendlichen Rahmenattraktionen, wie dem angebotenen Yoga, dem Boule, dem Totenkopfschwimmen oder vom OBS-Lauftreff. Dabei sind diese Aktionen alle von OBS-Stammgästen ins Leben gerufen und völlig eigenständig auf die Beine gestellt worden. Ein Dank an dieser Stelle an alle engagierten Musikfans, die auch außerhalb des Gartens das OBS-Feeling weitertragen und reichlich Alternativen zum Grillen auf der Weserwiese anbieten – Jahr für Jahr. Zurück zum Programm. Der Rest der Festivalbesucher trotzte dem Kater und stand ebenfalls bei herrlichem Wetter vor der Hauptbühne.
Nur einige Wochen vor Festivalbeginn hatte die Engländerin LAUREL leider ihren Auftritt im Glitterhouse Garten canceln müssen. Veranstalter Rembert Stiewe verfiel vielleicht kurz in Panik. Auf jeden Fall war er sichtlich enttäuscht, denn auf LAUREL, so steckte mir der Chef einst, hatte er sich besonders gefreut. Nun denn. Stiewe, das Aushängeschild des Beverunger Touristikmanagements, hatte natürlich sofort Ersatz parat. Suzan Köcher’s Suprafon aus Solingen füllten nicht nur den offen geworden Timeslot, sondern performten für die eingefleischten Festivalgänger in Beverungen Musik wie auf den Laib geschnitten. Man sprach dieselbe Sprache. Stilvoll bestach das Quartett mit einem ausgewogenen Songwriting zwischen psychedlischem Folk und Americana Anleihen, addiert mit einer sinnlichen und mystischen Vertonung. Das war ein gelungener Start für den Samstag. Suzan Köcher war das Strahlen nach ihrem Auftritt mehr als nur anzusehen. Die Aufnahme der Künstler und die entgegengebrachte Begeisterung durch das Publikum wird den meisten Crewmitgliedern im Übrigen dadurch signalisiert, wie zufrieden, glücklich und happy die Künstler im Nachhinein von ihrem Auftritt und den Erfahrungen erzählen. Auch wenn die Parkwache, der Hygenedienst oder die Crew am Eingang nichts vom Geschehen auf der Bühne mitbekommen, so tragen die meisten Künstler eure Leidenschaft mit ins Glitterhouse und in den leider nur für auserwählte Personen zugänglichen, inneren Kosmos.
Fotos von Christina Kania
Zum inneren Kosmos der Glitterhousefamily wird ab sofort auch ein 50-köpfiger Kinderchor samt Chorleiter und Fanzine Kollege Kristof Beuthner gehören. Kristof, für die Kollegen von NiLLSON auch schon seit fast einem Jahrzehnt auf dem OBS, ist im realen Leben Musiklehrer und berührte mit seinem Chor und den Interpretationen von großen Pop und Rock Nummern unser aller Oberhaupt Rembert so stark, dass nonchalant alle Kinder und Kristof als Walking Act gebucht wurden. Die Krönung: ein Auftritt auf der Hauptbühne mit den Songs “Free Fallin’/Learning To Fly” (Tom Petty & The Heartbreakers) und “Denkmal” von Wir Sind Helden, als fast vorprogrammierte Zugabe. Ich bin in den letzten Jahren echt zu einem kleinen Nörgler geworden und grummel immer etwas bei neuen Ideen, lass mich zum Glück aber auch oft eines besseren Belehren. Auch bei den Tiny Wolves, so wie sich die 50+1 Regel der Hinrich-Wolff-Schule in Bergen nennt, war ich skeptisch – bis es mir vor der Bühne förmlich die Schuhe auszog und mir die Tränen nur so kullerten. Den Kids ist noch gar nicht bewusst, was für eine musikalische Erfahrung ihnen da in ihre Entwicklung gelegt worden ist. Tom Petty, auf der Hauptbühne eines Musikliebhaberfestivals! Hammer!
Um adäquat runterzukommen zogen die Niederländer Lewsberg die Spannungsbogen nicht allzuweit an. Passte aber trotzdem. Denn der introvertierte Sound der niederländischen Velvet Underground, die auch gut und gerne den Soundtrack eines Frühwerks von David Lynch abliefern hätten können, bescherte den OBS Besuchern einen soliden Wiedereintritt in das düstere, monotone und bittere Leben – übertrieben gesprochen. Ein vorher ausgemachtes Highlight, das ein wenig von seiner treibenden Kraft vermissen ließ.
Die auf der 22. Ausgabe des OBS-Festivals noch auf der Minibühne agierenden Schweizer von Blind Butcher, schickten sich dieses Jahr an, den Kronleuchter auf der Hauptbühne explodieren zu lassen. Der als Markenzeichen des OBS angebrachte Kronleuchter sah sich nämlich unmittelbarer Explosionsgefahr ausgesetzt, nachdem Christian Aregger und Roland Bucher bei ihrem ersten Auftritt eine Discokugel in ihre Einzelteile zerlegten. Genauso explosiv kam ihre Musik rüber. Gemacht für den großen Spuk, mit voller Wucht und unheimlich surrealer Energie. DEVO trafen auf CAN und waren als The Darkness verkleidet.
Lysistrata – Fotos von Christina Kania
Lysistrata aus Frankreich stöpselten als nächstes ihre Verzerrer ein. Im Kölner Sonic Ballroom vor einem guten Monat konnte ich mir dieses Math- und Post-Rock Ungeheuer schon anschauen und wusste was mich erwartet. Ein absolutes Highlight. Die drei jungen Franzosen brachten so viel Power, Energie und gleichzeitig so viel Raum für Melancholie in den Garten, wie ich es selten zuvor erlebt hatte. Wer nur das Brüllen registriert hatte, hatte in den ruhigen Passagen nicht aufgepasst. Was für eine Leidenschaft und was für eine Show. Vielleicht hätte ich unserer Filmcrew den Tip geben können, nicht erst beim letzten Song, den ca. 17 Minuten in die Länge gezogenem Track “Sugar & Anxiety”, zu filmen – aber stark, dass ihr alles festgehalten und durchgehalten habt.
Während es auf der Hauptbühne hoch her ging, bastelte Theresa alias LADUKA im hinteren Teil des Geländes an ihrer nächsten OBS in the Box Aktion. Die kleinste Geisterbahn der Welt wartete auf die Zuschauer in der umgebauten Eisbude. Wer es nicht gesehen hat, der mag hier auf das Video klicken, welches im Zuge unseres neuen OBS TV Kanals zusammengestellt wurde.
Fotos von Theresa Herzog
Nicht nur die Tiny Wolves durften einen Glitterhouse Records Vertrag unterzeichnen. Auch die Kids von Trixsi gehören ab dem 23.OBS zur Glitterhousefamily dazu. Der Menderes des Orange Blossom Special Festivals hatte seinen ersten Auftritt. Jörkk Mechenbier war bereits mit Love A und seinem Akustikpunk Duo Schreng Schreng & La La im Garten. Nun durfte er mit seiner neuen Band Trixsi, bestehend aus Mitgliedern der Bands Herrenmagazin, Jupiter Jones, Findus und eben Love A, auf der Minibühne Platz nehmen. Bisher gab es nur ein Demo der Band zu hören. So war es für alle eine kleine Wundertüte. Das Resultat: Wow! Griffige Power-Pop-Punk-Songs, zeitgemäße Wachrütteltexte mit Ausrufezeichen. Der Vertrag mit Glitterhouse wurde im zweiten Set auf der Minibühne live unterzeichnet, ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben. Hier, wo Vertrauen noch funktioniert. Nach dem Auftritt hatte wie wohl jeder vor der Minibühne einfach nur noch Bock, das hoffentlich bald erscheinende Debütalbum in den Händen zu halten.
Trixsi – Fotos von Christina Kania
Mit den Schweizern von Black Sea Dahu und deren Frontfrau Janine Cathrein wurden die Gemüter wieder beruhigt und die Lautstärke wieder etwas gedrosselt. Musikalisch näherte sich das Programm dem typischen OBS-Feeling vergangener Tage. Gefühlvoller Singer-/Songwriter Kurs, facettenreiches Songwriting und eine berührende, wohlklingende Stimmlage. Und abermals stand eine Frau auf der Bühne. Überflüssig eigentlich zu erwähnen, würden alle so denken, wie beim OBS. In Zeiten in denen Festivals zum Teil ganz ohne weibliche Acts auskommen, ist es schön zu sehen, dass Rembert bemüht ist, auch hier eine gute Quote zu erzielen. Mangelnde Qualität darf für die anderen Festivals nicht als Ausrede gelten, denn sowohl die Acts vom Freitag, Angie McMahon und Linn Koch-Emmery, als auch Black Sea Dahu und Suzan Köcher’s Suprafon machten ihren Job super.
Black Sea Dahu – Fotos von Christina Kania
Hätten Money For Rope den Auftritt von Leoniden von vor ein paar Jahren gesehen, hätten die aus Melbourne kommenden Australier sich sicherlich noch mehr Mühe gegeben, die Bühne im Glitzergarten abreißen zu wollen. Eine atemberaubende Show mit zwei Schlagzeugern und nicht zu bändigendem Rumgehüpfe. Egal ob Bass, Keyboard oder Gitarre. Money For Rope genossen sichtlich ihre Freiheiten und wollten ihren OBS-Auftritt von 2015 toppen. Eine hängenbleibende Performance, wie schon beim letzten Mal und ein kraftvolles, rotziges Set, dass den Garten begeisterte.
Die Aussprache des ein oder anderen Künstlers ist Rembert und mir manchmal selber nicht ganz klar. In den vier Jahren, die ich nun auf der OBS-Bühne stehe, war es aber noch nie so kompliziert, wie in diesem Jahr. Einige Male hatten wir uns dieses Jahr verhaspelt. Es schien aber alles noch im Rahmen gewesen zu sein. Christian Kjellvander, der Vater aller Zungenbrecher auf dem diesjährigen OBS, bescherte uns zum Glück keine Probleme. Jedoch gaben die Monitorboxen ungewohntes Brummen ab und waren mit der Verkabelung so gar nicht zufrieden. Die aufgedrückten melancholischen Bässe des Christian Kjellvander wurden so, durch eine bebende Brummschleife noch zusätzlich verstärkt. Nach ein paar Songs wurde der Fehler zum Glück behoben und der Garten genoß den introvertierten Schweden mit seiner extravaganten Ausstrahlung. Besonders die heftigen Post-Rock Phasen gegen Ende seines Sets, sind mir bis heute in Erinnerung.
Die Finnen von The Holy beschlossen den Festivalsamstag mit ihrem ersten Festivalauftritt in Deutschland. Wieder so eine OBS-Premiere, wie es zuvor AnnenMayKantereit, Get Well Soon oder Gisbert zu Knyphausen schafften (ebenfalls mit deren Festivalpremieren). Die Platzierung am Ende des Tages sollte sich auszeichnen. Nicht nur, dass die Band alles aus sich rausholte, der charismatische Sound setzte der Atmosphäre auch noch die Krone auf. Vom Balkon aus kullerten zum zweiten Mal die Tränen, als der mir nicht unbedeutende Song “Can’t Remember Your Name” erklang. Das ist das OBS. Gebannt von hymnenhaften Post-Rock Klängen unter all den violett, blau und weiß angestrahlten Bäumen. Ich sah ausschließlich faszinierende Blicke auf die Bühne starren. Gänsehaut auf dem Herz. Was danach kam: Diverse Runden im Stadtkrug. Stets mit dem Wissen: morgen geht es ja noch mal weiter.
Money For Rope – Fotos: Christina Kania
Christian Kjellvander – Fotos: Christina Kania
The Holy – Fotos: Christina Kania