Jan Böhmermann
Gefolgt von niemandem, dem du folgst

Kiepenheuer & Witsch
VÖ: 11.09.2020

Als Jan Böhmermann in seinem Podcast “Fest & Flauschig” das erste Mal erwähnte, dass er ein Buch mit seinen Twitter-Kommentaren veröffentlichen will, habe ich kurz gedacht, dass das wahrscheinlich die blödeste Idee überhaupt ist. Aber ich muss zurückrudern “Gefolgt von niemandem, dem du folgst” ist ein kurzweiliges Zeitzeugnis aus der Sicht einer der smarteren und reflektierteren Köpfe unserer Medienlandschaft.

Das was am 16. Januar 2009 mit den Worten “Hunger!” auf Twitter begann, entwickelte sich bis Ende Februar 2020 zu einem von mehr als 2,2 Millionen Menschen verfolgten und viel diskutierten Social Media-Profil. Auch wenn der Kurznachrichtendienst in Deutschland bei weitem nicht die Verbreitung (und Sprengkraft) hat, wie zum Beispiel in den USA, so hat er sich, wie Böhmermann in seinem Vorwort korrekt beschreibt doch “innerhalb eines Jahrzehnts zur wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Online-Diskursplattform der Gegenwart entwickelt.” Ohne Twitter hätten die Vereinigten Staaten von Amerika sicherlich einen anderen Präsidenten und die Scheere zwischen links und rechts bzw. Wutbürgern und bürgerlicher Mitte wäre hier genauso wenig ausgeprägt, wie in den USA.

Jan Böhmermann ist Medienprofi. Das liest man in vielen seiner Tweets. Zum Beispiel, wenn er die verschiedensten deutschen Politiker in seine Tweets einbindet und man stets das Gefühl hat, dass sich die dann geschmeichelt fühlen und sich bei ihrer Antwort betont lässig geben. Das machen die Damen und Herren also, wenn man sie in ihren Sitzungen auf dem Handy daddeln sieht – komische Vorstellung. Dass das Buch in der Spiegel-Bestseller-Liste dann auch direkt auf Platz 1 landet verwundert deshalb nicht wirklich. “Dieses Twitter-Tagebuch ist Zeugnis sich verändernder Menschen in einem sich verändernden Medium in einer sich verändernden Welt.” schreibt der Autor in seinem Vorwort weiter. Und an dieser Stelle sollte man sich dann in seiner Kritik auch etwas genauer mit dem Inhalt des Buches auseinander setzen.

Die Veränderung, von der Böhmermann in seinem Vorwort spricht, wird dem Leser in “Gefolgt von niemandem, dem du folgst” auf einer dermaßen ätzenden Art und Weise bewusst, die mich persönlich mittlerweile keine Kommentarspalten mehr auf Nachrichten-Seiten lesen lässt. Sie ist auch der Grund, warum ich mich auf Facebook, Instagram und Co. nur noch selten politisch äußere. Zu schnell ist man ein “pädophiles Arschloch”, wie mir jüngst bescheinigt wurde oder – wir sind hier ja alle erwachsen – eine “Scheiß Missgeburt und ein Scheiß Homo, den man verbrennen sollte”, um mal eines der Zitate, mit denen Böhmermann sich seit einigen Jahren herumschlagen muss, wieder zugeben.

Ob es sich bei diesen zum Teil strafrechtlich relevanten Antworten wie dem oben genannten Zitat um Xavier-Naidoo-Fans handelt, die Community einiger Social Media-Influencer oder den rechten Trolls aus dem AFD-Umfeld spielt dann eigentlich schon fast keine Rolle mehr. Die Verrohung der Sprache und des Diskurses wird beim Lesen vieler Kommentare so präsent und klar, dass es manchmal wirklich weh tut. Dass Böhmermann diese Gruppen natürlich auch provoziert und somit selbstverständlich auch mit dem passenden Feedback rechnen muss, gehört zum Spiel. Erschreckend finde ich es stellenweise trotzdem.

Aber auch Themen, die ich schon wieder komplett verdrängt habe, dringen durch die Tweets Böhmermanns wieder in mein Gedächtnis. Könnt Ihr Euch noch an die TV-Show “Absolute Mehrheit” von Stefan Raab erinnern? Oder an den Bischof Tebartz-van Elst (Was macht der eigentlich gerade)? Es sind auch diese Kleinigkeiten, die vor allem zu Beginn noch für ein kurzweiliges Lesevergnügen sorgen. Dies ändert sich jedoch spätestens 2013 und endet am 29. Februar 2020 mit dem Tweet “Bei uns im REWE sind die Zyankali-Kapseln ausverkauft!”. Zu diesem Zeitpunkt hat Jan Böhmermann 25.106 Tweets gepostet und 2.209.695 Follower. Alle Tweets, Retweets und Replays seiner Chronik wurden mit Veröffentlichung dieses Buches gelöscht.

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