Eigentlich darf ich das Niemandem erzĂ€hlen, dass ich 20 km Luftlinie vom Reeser Ortsteil Haldern aufgewachsen bin und in diesem Jahr mit Anfang 40 meinen ersten Besuch auf diesem wundervollen Festival feiere. Nur Gutes wurde berichtet, nur Gutes wurde im Netz und TV gesehen und nur Gutes wurde stets wahrgenommen. Trotzdem machten diverse GrĂŒnde mir immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Bis 2019. Der I CAN GUARANTEE Tross machte sich am frĂŒhen morgen des 8.August auf und fuhr den Rhein runter, zurĂŒck in die Heimat.
ĂuĂerst freundlich und wohl gesonnen prĂ€sentierte sich das Haldern schon gleich zu Beginn, bei der Einfahrt auf das GelĂ€nde. Liebevoll bemalte Willkommens-TĂ€felchen und nette Crewmitglieder weisten uns den Weg auf den Zelt- und Parkplatz. Dass beides in einem war, fand ich aufgrund der ganzen Klamotten, die es dann doch fĂŒr drei Tage Camping bedarf, mehr als nur gut. Vielleicht lag es auch an meiner Einstellung allgemein, sicherlich auch an dem mir ErzĂ€hlten, von einem sehr harmonischen und entspannten Festival, dass eine völlige Unaufgeregtheit und Ruhe sich in mir breit machte. Das Zelt stand um 9 Uhr morgens fertig aufgebaut und voll des Lobes fĂŒr mich selbst, belohnte ich mich mit einer ersten Dose Bier. Klingt asi, ist es aber nicht. Weil: Man ist ja nicht mehr 23 und hat alles im Griff ;).
Das Festivalprogramm, in Form der Zeitschrift “Dat Blatt”, entschĂ€digte die vorher eher verwunderlich minimal gehaltenen Infos ĂŒber das Haldern Pop. Zudem ist das Areal recht ĂŒbersichtlich, wenn man einmal vor Ort ist. Die einen sagen 7000, die anderen schwören auf 9000 Besucher. Ehrlich gesagt war mir das wuppe, solange das Festival sich nicht zu einem Ausverkauf im fĂŒnf- oder sechsstelligen Bereich entwickelt. Und das wird es nicht. Bleiben doch Festival-Macher Stefan Reichmann und seine Crew traditionell, leidenschaftlich und dem Musikherz verbunden. Als langjĂ€hriger Besucher und Mitarbeiter des Orange Blossom Special Festivals in Beverungen (Weserbergland) kenne ich das alles noch eine Nummer kleiner. Es machte mich richtig glĂŒcklich, zu sehen, dass auch das Haldern Pop etwas sehr Ehrliches und Aufrichtiges hatte. Keine ĂŒberdimensionalen Werbebanner, keine ĂŒberflĂŒssigen und ĂŒberteuerten Imbissbuden, einen Kaffeestand, einen Brotstand, Ă€uĂerst leckere Falafel und deftige Pommes Frites. Zudem waren sĂ€mtliche Ordner- und Securitymenschen super freundlich und trugen so auch dazu bei, dass alles mehr als entspannt blieb.
Circa 77 Bands, KĂŒnstlerinnen und KĂŒnstler aus den unterschiedlichsten Genres standen im diesjĂ€hrigen Line-Up. Wie auch in den Jahren zuvor gesellten sich zur HauptbĂŒhne und Spiegelzelt Konzertlocations wie das “SchĂŒtzenzelt”-mĂ€Ăige Niederrheintent sowie die im Ort zu findenden RĂ€umlichkeiten Haldern Pop Bar, die St.Georg Kirche und das Jugendheim. Die Auswahl war groĂ, das Programm umfassend. Startpunkt, nach einem Ă€uĂerst sonnigen Mittag auf dem Zeltplatz, war die St.Georg Kirche und das Konzert des aus der Seattle Region kommenden Brian Fennell alias SYML. Es war fĂŒr mich genau die richtige Messe, die SYML da gelesen hatte. GefĂŒhlvoll, andĂ€chtig, melancholisch. Die Welt drumherum war ausgeschaltet. Das Leonard Cohen Cover von “Hallelujah” war zwar in meinen Augen zu kitschig und klischeehaft, jedoch war das Dargebotene drumherum EntschĂ€digung genug. Ein Wechsel zwischen Akustikgitarre und FlĂŒgel und die zum Schluss einsetzende sanfte chorale UnterstĂŒtzung erzeugten ein GĂ€nsehautfeeling. Wow. Der halbstĂŒndige Spaziergang von der Kirche zurĂŒck auf das FestivalgelĂ€nde lieĂ mich leider schnell wieder in der realen Welt ankommen. Aber so waren nun mal die Gegebenheiten. Obwohl der Trip in den Ort sehr schön war, sollte es der letzte Marsch gewesen sein. Zu sehr ĂŒberschnitten sich hier und da einige Bands, so dass ich mich fortan fĂŒrs Spiegelzelt oder die HauptbĂŒhne entschieden habe.
So bewunderte und rockte ich zu den unglaublichen Kadavar, die ein fulminantes Set und eine enorme BĂŒhnenprĂ€senz ablieferten. Haare und BĂ€rte flogen zwischen Rockerposen und Stonerriffs nur so umher. Durchweg druckvoll und innovativ und fĂŒr ein Festival immer geeignet prĂ€sentierte sich das Trio auf der HauptbĂŒhne. Als Special Guest im Programm angekĂŒndigt betraten die Hammer Giant Rooks die HauptbĂŒhne. Hier lieĂ ich mich von der Masse leiten und folgte meinem Anhang, um die ĂŒberall hochgelobten jungen Musiker mir anzuschauen. Letztendlich befand ich mich wohl lĂ€nger am Bierstand als tatsĂ€chlich mit meinen Augen und Ohren verfolgend auf der BĂŒhne. FĂŒr mich in dieser Phase war der Indiepop einfach zu beliebig. Dahingehend war das Set der Band Gewalt im Spiegelzelt der absolute Gegensatz. KĂŒnstlerisch provokant mit penetranter LautstĂ€rke und gewolltem Diskussionsbedarf. Punk als Kunstform, wie er heutzutage nur noch selten praktiziert wird. Patrick Wagner und seine Bandmitgliederinnen DM1 und Helen Henfling sind dabei eher gewaltig als gewalttĂ€tig. Der Mix aus Avantgarde, Noise, Industrial und Existentialism rĂŒttelt einen so richtig durch und schenkt am Ende mehr Liebe als ein schnulziger Gradeauspop andere KĂŒnstler. Ich fand es groĂartig. Bei einem milden Whiskey am Glitterhouse Records Stand wurde mir noch vom groĂartigen Auftritt von Black Midi berichtet und vom bevorstehenden Gig von The Chats, die am Mittag ihr erstes Set im Niederrheintent ablegten und den folgenden Tag das Spiegelzelt eröffneten. Dem Whiskey und dem Pop von Faber auf der HauptbĂŒhne geschuldet, fiel ich auch nach einer anstrengenden Arbeitswoche frĂŒh auf mein luftige Matratze.
Mit einer wohltuenden Dusche und Brötchen vom Bauernhof ging es am Freitag in den zweiten Tag. Diesen hĂ€tte ich von vorne herein wohl direkt und komplett im Spiegelzelt verbringen sollen, enttĂ€uschten doch die poppig und teils pompösen Sets von Whitney und Father John Misty. So verpasste ich an diesem Tag das rockig provokante Set eines Barns Courtney. Nicht umsonst war das Spiegelzelt zum Bluesrock des aufstrebenden Musikers aus England picke packe voll. Leider ohne mich. DafĂŒr ergriff ich die Chance mir am frĂŒhen Nachmittag nach Empfehlung The Chats anzugucken. Kaum zu glauben, dass dieser fĂŒr mich nach englischer Vorstadt klingende Prollsound aus Australien kommt. Die Musik beflĂŒgelte förmlich das Verlangen ein erstes Bier zu genieĂen. Und so wippte nicht nur der Bierschaum mit dem rotzigen Sound von Eamon Sandwith, Josh Price und Matt Boggis, sondern das ganze Zelt verwandelte sich in eine ausgelassene Party. Mit Blanco White folgte anschlieĂend ein unerwartetes Highlight. GefĂŒhlvoller Folk, mit Charango und Geige. Sichtlich gerĂŒhrt waren die Menschen um mich herum, als Songs wie “Olalla” oder “On The Other Side” erklangen. Blanco White beamten dich in eine andere Welt, genau da hin wo alles gut ist. Von genau dieser Welt scheint auch Stella Donnelly zu kommen. In Köln verpasste ich noch die smarte Australierin mit dem 60s Bobschnitt. Jetzt verliebte ich mich endlich vollends in Donnelly und lauschte gebannt ihren starken Texten und dem sĂŒĂen Pop. Viel viel eindringlicher als noch zu Hause ĂŒber die Stereoanlage prĂ€sentierten sich die Indiepopsongs auf der BĂŒhne. Griffiger, ausdrucksstĂ€rker und berĂŒhrender. So konnte ich mit Musik gestĂ€rkt zur Hot Dog Session am Zeltplatz auflaufen und sammelte neue KrĂ€fte fĂŒr den nĂ€chsten spannenden Augenblick auf dem diesjĂ€hrigen Haldern Pop. Fontaines D.C. Das in meinen Augen und Ohren wichtigste und nachhallendste Konzert des Festivals. Obwohl die jungen Iren nicht mal annĂ€hernd ihren Timeslot ausnutzten, die Band spielte gefĂŒhlt nur eine halbe Stunde, war die ganze Performance einfach auf den Punkt. In Nebel gehĂŒllt und ohne viele Worte, eigentlich ohne ĂŒberhaupt etwas zu sagen, spulten Fontaines D.C. ihr Set runter. SĂ€nger Conor Deegan III erinnerte mich mit seiner nöligen und teilweise provokanten Art auf der BĂŒhne umherzulaufen oder gelangweilt mit seinem Feuerzeug zu spielen, an so ausdrucksstarke Leute wie Ian Curtis oder auch einem frĂŒhen Liam Gallagher. Einfach faszinierend. Dazu der treibende Sound von Tracks wie “Sha Sha Sha”, “Big” oder “Liberty Belle”. Keine andere Band habe ich nach dem Haldern öfter gehört, wie die Fontaines D.C.
Die bezaubernde Sophie Hunger lieferte den Soundtrack zu unglaublich leckeren Pommes Frites. Innerlich bereitete ich mich aber auf den Abschluss mit den Idles vor. Aufgrund der mittlerweile angewachsenen PopularitĂ€t der Band und meinem Besuch 2018 im Kölner GebĂ€ude 9, wusste ich, was mich erwartet. Dazu kamen die Geschichten ihres Auftritts anno 2017 im Spiegelzelt, dass sich glĂŒcklich schĂ€tzen konnte ĂŒberhaupt noch zu existieren, so die ErzĂ€hlungen. Das erhoffte Spektakel und die erwartete chaotische Show der EnglĂ€nder aus Bristol fand natĂŒrlich statt. Wahnsinn, auf welch einem Level und mit welch einer ekstatischen Hingabe die Idles performten. In einigen Momenten empfand ich es so, als wenn die Musik zu kurz kommt. Aber hey, wir sind hier nicht bei einem kleinen Club Konzert, sondern drauĂen vor ca. 5000 Menschen. Da kann man ruhig öfter mal ins Publikum springen oder sich ausziehen. Insbesondere der Dank an Festivalmacher Stefan Reichmann und das sozialkritische sowie politische Statement der Band unterstrich den Auftritt. Das Publikum fĂŒhlte sich mit den Idles auch deswegen sehr verbunden. Die HauptbĂŒhne verwandelte sich kurzerhand quasi zum “Spiegeltent”. So nah waren sich alle. Du hast förmlich gespĂŒrt, wie sehr den Idles das Festival am Herzen liegt. Ein krönender Abschluss fĂŒr den Freitag.
Der abschlieĂende Samstag startete mit James Leg. Charismatischer, whiskeygetrĂ€nkter Bluesrock. Und ein Mann, der mit seinem Orgelaufbau so ziemlich jeden Gitarristen in die Schranken weist. Ein rotziger Sound, der so einige wachgerĂŒttelt hat. Dazu lieferte James Leg mit seinem Song “Drinking Too Much” einen ultimativen Soundtrack fĂŒr das diesjĂ€hrige Haldern. Der Höhepunkt des Tages kam mehr oder weniger im Anschluss, als Daughters die BĂŒhne im Spiegelzelt betraten. Ăhnlich wie der Auftritt der Fontaines D.C. am Vortag, sollte mich der Daughters Auftritt Ă€hnlich beschĂ€ftigen. Was fĂŒr eine PrĂ€senz, was fĂŒr ein Druck und was fĂŒr eine LautstĂ€rke. Das Spiegelzelt wurde vom Noise und vor allem von der Theatralik von SĂ€nger Alexis Marshall in den Bann gezogen. Zwischen Faszination und Angst bewegte sich diese extravagante Show. Alleine vom Zuschauen war ich völligst geplĂ€ttet. Das Livespektakel im Spiegelzelt lĂ€sst im Nachhinein den durchaus speziellen Sound von Daughters, um ein vielfaches angenehmer klingen. Ein Auftritt mit Wirkung. Angesichts solch brachialer Songs wie “The Dead Singer” oder “Long Road, No Turns” ein wahres Wunder und eine immense Ausdruckskraft der Band. Da kamen das DJ Set von Brandt Brauer Frick und der Instrumental-Folk von Khruangbin gerade recht, um einfach nur Hintergrundmusik zu sein. Leider war das gefĂŒhlt auch nicht mehr. Ein Licht am Horizont brachte der von Beats und Raps geflutet HipHop des Loyle Carner. Insgesamt war der Samstag dadurch gezeichnet, dass das Haldern eben auch das ist, was es ist: Ein Genresprung ist hier noch lĂ€ngst kein Weltuntergang. Und so bedient das Haldern Pop sein eigenes Image. Es bleibt ein Festival, welches fĂŒr mutiges und facettenreiches Booking steht. FĂŒr viele war gegen Ende das Set von Michael Kiwanuka sicherlich ein Highlight. Ich habe mich eher gelangweilt und ging zu den mir völlig unbekannten Haiku Hands. Die drei (oder manchmal auch vier) jungen Frauen aus Australien lieferten wohl die krasseste Popparty des Festivals ab. Nach einem mĂŒde und von mĂ€Ăigen Auftritten gespickten Samstagnachmittag, Daughters war um LĂ€ngen die Ausnahme, fand mein Popherz seine Heldinnen. Wow! Das ganz Zelt hĂŒpfte, die Spiegel wackelten. “Squat” oder “Jupiter” sollten auf jeder Party laufen. Herrlich. Und jeder im Zelt wollte feiern und die letzten Stunden des Halderns genieĂen. Haiku Hands lieferten die perfekte Party dazu. In Nebel gehĂŒllt mit einer tollen Performance, die animierte und letztendlich das Publikum total mit einbezogen hatte. Well done MĂ€dels! Die letzten Töne von Balthazar erklangen auf der HauptbĂŒhne, im Spiegelzelt fingen The Districts an. Beides haute mich leider nicht von den Socken, so dass ich den Mann mit dem milden Whiskey aufsuchte und schlieĂlich auch fand. Der Rest bleibt hinter verschlossenen TĂŒren.
Das Haldern Pop Festival prĂ€sentierte sich so, wie es mir alle versprochen hatten. Alteingesessene erkannten natĂŒrlich VerĂ€nderungen und ein mittlerweile durchmischtes Publikum. Das darf aber in 36 Jahren ruhig passieren. Dass das ZeltgelĂ€nde bei der Abreise schon Ă€uĂerst aufgerĂ€umt aussah, ich war mit einer Hand voll Leuten einer der letzten in unsere Zeltumgebung, kommt als Pluspunkt nochmal dazu. Die Berichte in der Presse, des durch die Besucher aufgerĂ€umten Zeltplatzes, kann ich nur bestĂ€tigen. Letztendlich habe ich fĂŒr mich viel gesehen und miterlebt sowie einige super Konzerte gesehen. Nur das hin und her tingeln zwischen GelĂ€nde und Dorf wollen meine Beine nicht mehr mitmachen. NĂ€chstes Jahr dann, vielleicht. Danke Haldern. Du warst gut.