Buzzcocks
A Different Kind Of Tension / Singles Going Steady (Vinyl-Reissues)
Domino Records
VÖ: 14.06.2019
Der ganz große Buzzcocks Anhänger war ich eigentlich nie. Jedoch waren die Buzzcocks immer wieder von von mir geschätzten Bands, vor allem der Grunge-Era der 90er, als einflussnehmende Punkband genannt worden. Seit eh und je war der Überhit der Buzzcocks “Ever Fallen In Love?”. Mir allerdings aufgrund meines Jahrgangs eher in der 88er Version der Fine Young Cannibals bekannt – ganze zehn Jahre nach dem eigentlichen Release der Single. Interviews mit Bands wie den Screaming Trees, Pearl Jam, den Smashing Pumpkins und Nirvana bescherten ein erstes Kennenlernen mit den englischen Buzzcocks. Vielleicht waren die Buzzcocks zu poppig, um in einer Reihe mit den Sex Pistols und den Ramones genannt werden zu können und zu wenig progressiv und innovativ, um adäquat im The Fall-Kosmos zu landen. Zeitweise machte man die Buzzcocks dafür verantworlich, dass Bands wie Journey, Earth Wind & Fire oder The Knack mit dem Begriff Punk konfrontiert wurden. Die Buzzcocks erschufen einen melodiösen Punk, ohne Gerumpel und harte Riffs und waren endlich mit ihrem dritten Album “A Different Kind Of Tension” auch experimentierfreudiger geworden. Dazu kamen Schnelligkeit und knackige Akkorde, gespickt mit teilweise ausgefeilten Gitarrensolis und 70er Rock Melodien. Weit voraus für ihre Zeit und vielschichtiger als man meinen würde. In ihren ersten Jahren des Bestehens, zwischen 1976 und 1981, schrieben die Engländer um den 2018 verstorbenen Pete Shelley so einige Hits, die manch einer vielleicht erst erkennt, wenn er sie wieder hört und eben weniger vom Namen her.
Auf “A Different Kind Of Tension” befinden sich mit “You Say You Don’t Love Me”, ” You Know You Can’t Help It” oder “I Don’t Know What To Do With My Life” nämlich schon mal drei ausgemachte Hits. Das Album wirkt durch die neu gemischten Versionen richtig knackig und frisch. Ein Faktor, der mir früher immer ein Dorn im Ohr war. Natürlich haben die alten Aufnahmen einen gewissen nostalgischen Anreiz, jedoch sind die neu abgemischten Sachen grade weg zum Verlieben gelungen. Facettenreichere Songs wie “Money” oder “Hollow Inside” entfachen eine völlig neue Magie. Für Punkbands schier ein Novum war der Buzzcocks Song “I Believe”, der mit satten 7:09 min überhaupt nicht ins Schema des Punks der 70er passt. Schon der Titeltrack “A Different Kind Of Tension” artet mit 4.39 min aus und unterstreicht den konzeptionsreichen und theatralischen Output des Buzzcocks Punk zwischen Ramones und The Who.
“Singles Going Steady” ist der perfekte Einsteiger, wenn man sich den Buzzcocks annähern will. Alle Singles und B-Seiten bis 1979 auf einer Compilation. Grade deswegen auch interessant, da nicht jede Single immer auf einem Album enthalten war. Grundsätzlich sind jedoch die Alben vielschichtiger und lohnenswerter im Gesamtpaket. Die Songs auf der Single Compilation sind wunderbar chronologisch aufgeteilt in A-Seite (8 Singles) und B-Seite (eben alle 8 B-Seiten der Singles). Zwar ist dies nur ein Ausschnitt im Schaffen der Buzzcocks, jedoch kann man die Entwicklung in den ersten drei Jahre der Band wunderbar verfolgen. Schon in den ersten drei Songs, von der ersten provokanten Single “Orgasm Addict”, über den Hit “What Do I Get?”, bis hin zum Tonartwechsel in “I Don’t Mind” sind große Entwicklungssprünge zu erkennen. Ebenso wie bei dem damals nur wenige Monate vorher erschienenem Album “A Different Kind Of Tension”, sind auch hier die neu abgemischten Songs ein kleiner Traum. So macht es einfach Bock, die Reihe mit “Love You More”, “Ever Fallen In Love?”, “Promises” und “Everybody’s Happy Nowadays” weiter zu hören und laut aufzudrehen. Im letztgenannten kommt nach wie vor Pete Shelleys Kopfstimme am stärksten zur Geltung. Die B-Seite ist etwas sperriger, beherbergt aber mit Songs wie “Autonomy” oder “Why Can’t I Touch it?” sagenhafte Perlen der Buzzcocks Geschichte. Allerdings auch mit “Noise Annoys” so manch einen experimentierfreudigen Reinfall, der mir einfach etwas zu albern ist.
“A Different Kind Of Tension” kommt als heavyweight Vinyl wahlweise in gelb oder schwarz heraus. “Singles Going Steady”, ebenfalls im schweren Vinyl erhältlich, im schicken lila oder ebenfalls im klassischen schwarz. Der neu gemasterte Sound ist einfach ein Genuss und eröffnet mir ein völlig neues Hörgefühl für die Buzzcocks. Neben dem Inlay, gespickt mit Infos (beide Platten) und Lyrics (nur “A Different Kind Of Tension”) liegt bei beiden Platten noch jeweils ein Booklet bei. John Savage, britischer Musikjournalist und Supporter der Buzzcocks, erzählt im Essay zu “A Different Kind Of Tension” alles Wissenswerte rund um das Jahr 1979. Wie die Singles der Buzzcocks bis Platz 20 in die britischen Charts vorgestoßen sind, bis hin zu den sperrigen Aufnahmen von “I Believe” und dem herausragenden Outro der Platte mit “Radio Nine”, in dem die Hits “Everybody’s Happy Nowadays” und “Why Can’t I Touch It?” im Radioscan nur angeteasert werden. Laut Savage waren die Buzzcocks immer kurz davor das ganz ganz große Ding zu machen, ehe man sich versah und nach 3 Wochen wieder aus den Charts purzelte. Trotzdem: ein mega Erfolg für Shelley (g,v), Steve Diggle (g,v), John Maher (d), Steve Garvey (b) sowie Garth Smith, der den Bass nur bis 1977 zupfte.
Das Booklet von “Singles Going Steady” beginnt mit einem Text des Autors Clinton Heylin, der bereits angesehene Bücher über Bob Dylan, The Velvet Underground oder David Bowie geschrieben hat. In Bezug auf die Buzzcocks ist sicherlich erwähnenswert, dass auch Heylin, genauso wie John Savage, ein Begleiter der Band war, die unter anderem in seinem Werk “Anarchy in the Year Zero: The Sex Pistols, The Clash And The Class Of ’76” Erwähnung fand. Der Text fängt damit an, das “Singles Going Steady” ja eigentlich gar kein richtiges Album sei, sondern 1979 nur im Zuge des Supports der geplanten US-Tour, ursprünglich vom amerikanischen Label Liberty, ausgekoppelt wurde. So beginnt eine lange, aber interessante Geschichte – eben von der ersten provokant humoristisch angelegten Single “Orgasm Addict” bis zum Release von “Harmony In My Head”. Im folgenden sind im Booklet alle Single-Cover visuell dargestellt. Für Sammler sind das gern gesehene Seiten. Hier fehlen die Lyrics leider.
Im Gesamtpaket lohnen sich die Reissues voll und ganz. Da ich die ersten beiden Reissues zu den Platten “Another Music In A Different Kitchen” und “Love Bites” (Release im Januar diesen Jahres) verpasst habe, kann ich keinen Vergleich dazu ziehen. Werde mir aber überlegen, ob ich diese Reihe nicht vervollständige. Denn so machen die Buzzcocks nochmal richtig Spaß.