Die Corona-Krise hat die Welt fest im Griff. Das bedeutet, dass wir alle gewissen Einschränkungen unterlegen sind. Während uns der FC Bayern München und deren wirtschaftlichen Verluste herzlich am Popo vorbei gehen, haben wir viele Freunde und Bekannte, die als Kulturschaffende in Bands, Bars, Plattenläden oder Agenturen arbeiten. Bei all diesen Menschen geht es nun um ihre Existenz. Glücklicherweise wird auf die Krise nun schnell und kreativ reagiert. Zum Beispiel mit der Initiative BE MY QUARANTINE. Wir sprachen mit Andree “Friese” Böhle (den Ihr vielleicht als Mercher von Turbostaat kennt) dem Begründer dieser Kölner-Idee selbständigen Kreativen unter die Arme zu greifen.
ICG: Du hast Ende vergangener Woche bereits in einem privaten Statement auf die kommende, schwierige Zeit für Kulturschaffende (sprich freischaffende Künstler und Musiker, Labels, Agenturen, Clubs, Bars, Theater, etc.) aufmerksam gemacht und deine Freunde und deren Kontakte zu Spenden und Ideen animiert, um eben die lokale Musikszene und die Kunst, die man liebt zu unterstützen. Einfach damit diese den eventuellen Genickbruch eben nicht erleiden. Ist das auch die Idee hinter BE MY QUARANTINE oder wie ist das ganze entstanden? Stell doch das Projekt einmal kurz vor: Wer ist an dem Projekt beteiligt und was willst du oder ihr damit bezwecken?
FRIESE: Hallo und Danke erstmal für Euer Interesse. Mein erster Post, war nur der eines einzelnen Hansels im Internet. Die Ideen, auf die Rückgabe von VVK-Tickets zu verzichten war ja auch keine neue. Aber seit Zeiten von Social Media hat ja jeder mal das Bedürfnis, ungefragt seine Gedanken in die Welt hinauszuposaunen. Und das habe ich dann eben auch gemacht. Hätte ich gedacht, dass dieser Post dann auch noch, für meinen Geschmack recht weitreichend geteilt wird, hätte ich bestimt mehr auf meine Rechtschreibung geachtet.
BE MY QUARANTINE war bereits seit ein paar Tagen ein Witz zwischen mir und meiner Freundin und mir ist dann abends ein passendes Shirt-Design dazu eingefallen. Die Idee daraus ein Soli-Shirt zumachen entstand eigentlich im gleichen Atemzug, wobei ich zugegebenermaßen erstmal Läden im Kopf hatte, mit denen ich persönlich befreundet bin. Je länger ich aber darüber nachgedacht habe, desto unfairer fand ich die Vorstellung, dass die Unterstützung nur von mir ausgewählten Leuten zugute kommen sollte. So entwickelte sich die Idee, die Designs einfach jedem zu geben, der sie gebrauchen konnte und wollte. Vielleicht noch ein wenig Hilfe anbieten, eine lokale Druckerei zu finden und damit wäre ich fürs weitere aus der Aktion auch schon wieder raus. In meiner Vorstellung würden sich jetzt lokale Gruppen von Clubs, Kneipen und Künstlern zusammenfinden und selbstaktiv eine Umsetzung finden. Und das mag auch passieren. Wir werden sehen. Doch unabhängig davon gibt es auch genug Betroffene, die über keinerlei Struktur und Erfahrung verfügen, so etwas umzusetzen. Die haben keinen Onlineshop, keine Erfahrung wie man Merchverkäufe plant etc. Und hier beginnt die Geschichte gerade, eine Eigendynamik zu entwickeln. So meldete sich schnell mein Freund Mario Stramm, der gerade erst mit Timo Meinen eine eigene Merchfirma namens TOURHAFEN gegründet hat. Das sind geile Menschen, die ich seit Jahren kenne und vollends vertraue. Er fand meine Idee gut und bot direkt an, einen zentralen Onlineshop zu erstellen und die komplette Abwicklung durchzuführen. Dadurch können wir nun anbieten, dass sich Clubs, Kneipen, Künstler nur noch bei TOURHAFEN melden müssen und dann sozusagen einen eigenen Bestellbutton bekommen und fortan Geld für jeden verkauften Artikel über ihren Button bekommen (die tatsächliche technische Umsetzung überlasse ich den Fachleuten, ich bin nur der haarige Dude mit ner bescheuerten Idee). Trotzdem bleibt aber auch weiterhin das Angebot, einfach die Dateien für die Designs zu bekommen und das alles selber zu organisieren. Damit haben wir auch alle bisher an dem Projekt beteiligten Personen aufgezählt.
Was wollen wir bezwecken? Blöd gesagt im besten Fall ein Pflaster oder Verband zu sein, um zumindest die momentane Blutung ein wenig zu stillen. Wir werden keinen Laden retten können, so utopisch bin ich nicht. Selbst wenn dieses Projekt komplett durch die Decke geht, wird es am Ende auf die Politik und ihre Hilfsmaßnahmen ankommen. Aber es wird auf jeden Euro ankommen und vielleicht schustern wir 1-2 bei.
Darüber hinaus glaube ich, dass sich bei größter Verbreitung und Teilnahme, mit einer Aktion unter einem Banner mehr erreichen lässt, als wenn jeder seine eigene kleine Aktion startet. Menschen neigen nunmal dazu sich gerne einer Bewegung anschliessen zu wollen.
ICG: Wohin fließen die eingenommen Spenden durch z.B. T-Shirt Verkäufe? Wie und wo kann man spenden oder sich beteiligen? Oder ist es eher so gedacht, dass die verschiedenen Künstler, Labels und Clubs die entworfenen Logos zu eigen machen dürfen und so eigene „Gelder“ generieren können?
FRIESE: Genau haha. Ich komme aus einer DIY-Welt, daher ist und bleibt meine erste Intention, holt euch die Designs, nutzt das Banner oder den Slogan und macht selber. Wie aber bereits erwähnt, kann das nicht jeder (zur Zeit haben viele Läden auch einfach andere Dinge zu organisieren) und zum anderen glaube ich eine koordiniertere Aktion sorgt für mehr Aufmerksamkeit und daraufhin hoffentlich auch mehr Unterstützung. Daher will ich, dass das zweigleisig läuft. Auf diese Weise sollte sich niemand ausgeschlossen fühlen und kann sich raussuchen was er von der Aktion gebrauchen will. Wie nun schlussendlich die Ausführung vollzogen wird, kann und will ich niemanden vorschreiben. Macht man es auf eigene Faust und nutzt nur die Designs, bleibt das ganze Geld bei dem Betroffenen. Schliessen sich mehrere Läden oder Künstler zusammen, können sie das Geld solidarisch aufeinander aufteilen oder eben nach direktem Support zuweisen.
Was den zentralen Shop betrifft, soll das im Prinzip nach momentanen Stand so laufen, dass man sich bei melden kann, dort kann man sich dann in Absprache auf Artikel einigen, die angeboten werden sollen und man bekommt eine eigene Seite oder Button (wie gesagt ich bin nicht der Techniker). Somit wird jeder Verkauf für den jeweiligen Anbieter registriert. Vorteil ist hierbei u.a., dass die Motive die gleichen bleiben und insgesamt in größeren Mengen produziert werden kann. Folglich sinken auch die entsprechenden Kosten. Und hier kommen wir zum ersten Punkt der Frage wo bleibt das Geld hängen? Es wird keine Druckerei gefragt ob sie umsonst drucken, denn die befinden sich gerade in der gleichen misslichen Lage, wie alle anderen auch. Keine Clubs, keine Touren, keine Merchaufträge. Somit sollen die ganz normal bezahlt werden. Natürlich soll auch Tourhafen für die ganze Abwicklung bezahlt werden. Die Aufnahme in den Shop ist natürlich kostenlos, aber wenn alles gut läuft wird ein arschvoll Arbeit enstehen und die soll auch bezahlt werden. Der Großteil geht dann aber eben an die Läden. Fragt mich nicht nach Prozenten oder Beträgen, dass wird sobald alles steht, offen kommuniziert und dann kann jeder entscheiden ob er/sie sich die Arbeit selber machen will oder einfach auf der Couch den Geldregen auf sich niederprasseln lassen will.
Nein im Ernst. Mein Wunsch ist, dass alle die Arbeit haben, fair bezahlt werden und den Unterstützern gegenüber klar kommuniziert wird, was bei ihrem Laden landet. Man wird über die ganze Aktion keine einheitliche Preisgestaltung ziehen können und gerade alle, die es eigeninitiativ mitmachen sollen, ihre eigenen Konditionen definieren. Für den Tourhafen-Shop kann ich aber schonmal sagen, dass es keine Schnäppchenpreise geben wird. Schliesslich geht es hier nicht primär um den Erwerb eines Shirts, sondern der Unterstützung der Strukturen.
Hier verkauft Friese Platten: Underdog Recordstore, Köln, Ritterstr. 52. Beim Record Store Day gibt es immer wieder lokale und überregionale Bands, die vor dem Plattenladen ihre Hits performen. 2016 waren das Illegale Farben. (Fotos: Facebook)
ICG: Wo werden Deiner Meinung nach nach überstandener Pandemie die größten Schwierigkeiten auftreten? Besteht tatsächlich die Befürchtung, dass die lokale Szene heftig getroffen wird und vor allem DIY-Einrichtungen und kleine Labels und Clubs es vielleicht dann so gar nicht mehr gibt? Einige Clubs (zum Beispiel das Bla in Bonn) haben so etwas ja bereits durchschimmern lassen.
FRIESE: Genau darin sehe ich auch das Problem. Es werden nicht alle die Krise überstehen, das gilt aber sowohl für die kleinen DIY-Läden, genauso wie für größere “Mainstream” Läden oder einzelne Veranstalter. Was wiederum weniger Auftrittsmöglichkeiten für Bands bedeutet und auch Jobverlust für Techniker, Thekenkräfte, Putzkräfte etc. Keine Soliaktion und/oder egal wie geartete Finanzhilfe der Regierung. Gerade letzteres wird nur wenigen helfen, denn wieviel Geld soll denn da bitte fließen, um allen zu helfen. Neben dem Kulturbetrieb, wird spätestens in 1-2 Tagen auch der komplette Einzelhandel geschlossen und die Produktionswirtschaft leidet ja auch schon seit einiger Zeit, weil keine Lieferungen möglich sind oder Aufträge fehlen. Und das ganze auch noch auf weltweiter Ebene.
ICG: In wie weit trifft dich die aktuelle Lage persönlich und wie sieht es bei dir im Inneren aus? Wie gehst du mit der Lage um?
FRIESE: Mich betrifft die Lage insofern, dass ich wahrscheinlich ab Mittwoch (stand Montag 16.03.) vollkommen einkommenslos bin, denn wir erwarten, dass dann auch der Einzelhandel eingefroren wird und somit auch der Plattenladen in dem ich zweitweise arbeite. Touren sind ja längst abgesagt und selbst meinen Barjob, für den ich eigentlich schon viel zu alt bin, kann ich natürlich nicht mehr wahrnehmen. Als Selbstständiger habe ich die gleichen Probleme, wie alle anderen auch. Fixkosten wie Miete, Versicherung und Nahrung – aber auf unbestimmte Zeit kein Einkommen. Ich werde auf jeden Fall anfangen müssen, die Plattenregale leer zu räumen. Hoffe nur das Versanddienste nicht auch noch eingestellt werden. Innerlich bin ich wahrscheinlich zu ruhig. Ein Mixtur aus nordischer Gelassenheit, Sturheit und Ruhe mit der kölschen “Et hätt noch emmer joot jejange”-Attitüde. Außerdem hilft mir dieses Projekt gerade tatsächlich an anderes zu denken, weil es jetzt bereits mehr Zeit fordert als ich gedacht hätte und es ist noch nicht mal richtig losgegangen.
ICG: Für wie sinnvoll hältst du die ergriffenen Maßnahmen von Bund und Ländern?
FRIESE: Keine Ahnung. Wirklich keine Ahnung. Bei aller grundsätzlichen Abneigungen gegenüber Regierungsmaßnahmen, die oftmals eben nur der großen Wirtschaft dienen und wirklich nur der, bin ich nicht betriebswirtschaftlich bewandert genug, um hier irgendwas zu beurteilen und wüsste auch nicht was sie großartig anders machen sollten. Ich sehe auch keinen Gewinner dieser ganzen Krise (außer vielleicht diesem Jungen der angeblich Millionen mit Atemschutzmaskenverkauf gemacht haben soll). Ich sehe nur Verlierer und das macht eigentlich keinen Sinn.
Hier legt Friese Platten auf: FRIEDA Bar, Köln, Antwerpener Str.53. Was für Köln selten ist: Hier kommt auch das Pils aus dem Zapfhahn – serviert wird mit gepflegten Punk und Rock. 2014 wurde die Bar von Katarina Eilers und Florian Deubel eröffnet. Passende Kölschgläser gibt es genauso wie jedes Jahr eine angemessene Frieda-Geburtstagsfeier, hier mit Gruppenfoto. (Fotos: Facebook)
ICG: Siehst du das ganze auch irgendwie positiv, also im Sinne, dass in der Gesellschaft offengelegt wird, wer tatsächlich sich sozial engagiert und seinen Mitmenschen gegenüber sich sozial verhält? Denn eins scheint ja doch irgendwie sicher zu sein: Wenn nicht Fans, Nerds, Schaffende und Nutzende zusammenhalten, verlieren wir womöglich einen Großteil unseres kulturellen Lebens bzw. sind auf Neustarts und Eigeninitiative angewiesen.
FRIESE: Klar steuern wir gerade auf interessante Zeiten zu. Aber jedes Experiment bei dem jemand zu Schaden kommt, ist beschissen. Somit hätte ich gut damit weiterleben können, nicht zu wissen, dass jemand eventuell ein unsolidarisches Arschloch ist, wenn dadurch ein guter Mensch keinen Schaden nimmt.
Und auch einen weiteren Punkt möchte ich hier gerne anführen, wenn ich darf. Falls sich jemand darüber ärgert, dass ich mich hier nur um Kneipen, Clubs und Bands Gedanken mache, sozusagen Wohlstandsprojekte und nicht wirklich wichtige Dinge wie Flüchtlingskrise, Klimawandel, Aktionen gegen Nazis oder wasauchimmer – das stimmt. Aber niemand, der/die sich bis jetzt nicht bereits für all diese Dinge interessiert und eingesetzt hat, wird in der momentanen Situation dafür Empathie entwickeln, aber eine ganze Menge Läden und Bands und Personen, DIE sich genau für diese Sachen einsetzen, durch Spendenaktionen, Soliveranstaltungen, Infokampagnen, etc., sind jetzt existenziell bedroht und können dann womöglich ihre Arbeit für die gute Sache nicht fortführen. Und auch dort liegt eine Gefahr dieser Krise.
ICG: Gibt es für das Projekt in irgendeiner Form Zukunftspläne oder ist das Projekt nur für die aktuelle Lage vorgesehen?
FRIESE: Das geht jetzt erstmal um die Lage, weiter ist da erstmal nicht gedacht. Ich würde gerne weitere Designs ins Angebot nehmen – von richtigen Künstlern. Denn Hand aufs Herz, ich bin das ganz bestimmt nicht. Damit wir auch für jeden Geschmack etwas im Topf haben und obendrein auch noch die kulturelle Vielfalt widerspiegeln können. Die Krise wird ja wahrscheinlich andauern und auch nicht mit der Wiedereröffnung der ersten Clubs vorbei sein. Da könnte ich mir eine Art Staffelsystem, wie bei TV-Serien vorstellen. Das jetzt, ist sozusagen die erste Staffel. In der nächsten gibt es neue Sachen mit anderen Motiven und vielleicht ordert wieder jemand für den gleichen Laden.
ICG: Wir haben mit unserem Artikel “SUPPORT YOUR FAVORITE HOBBY – at home! F*** COVID-19” ein paar Musikdokus und Konzerte aufgelistet, die vielleicht ein kleiner Ausgleich zu fehlenden Konzerten oder Musikabenden in der Kneipe darstellen. Hast du Empfehlungen von Liveshows oder Dokus, die online zur Verfügung stehen?
FRIESE: Ich gucke mir auf YouTube vor allem Brettspielkanäle an. Ansonsten erwarte ich freudig den Start von Disney+ in 10 Tagen. Das Abo habe ich gottseidank schon vor einiger Zeit für ein Jahr abgeschlossen und bezahlt, jetzt würde ich es mir nicht mehr leisten können.